Vor fünf Wochen, als ich die Ergebnisse der COVID-19-Impfstoffstudien von Pfizer und Moderna infragestellte, waren nur die Studienprotokolle und einige Pressemitteilungenöffentlich zugänglich. Heute stehen zwei Zeitschriftenpublikationen und rund 400 Seiten zusammenfassender Daten in Form mehrerer Berichte zur Verfügung, die von und der FDA vor der Notfallgenehmigung des mRNA-Impfstoffs der jeweiligen Firmen vorgelegt wurden. Während einige der zusätzlichen Informationen beruhigend sind, sind es andere nicht. Ich habe folgende Bedenken hinsichtlich der Zuverlässigkeit und Aussagekraft der gemeldeten Wirksamkeitsergebnisse.

“COVID-19-Verdachtsfälle”

Die gesamte Aufmerksamkeit ist auf die dramatischen Wirksamkeitsergebnisse gerichtet: Pfizer berichtete von 170 PCR-bestätigten COVID-19-Fällen, aufgeteilt auf 8 zu 162 auf die Impfstoff- und Placebogruppe. Aber diese Zahlen wurden von einer Kategorie von Krankheiten, die als “COVID-19-Verdachtsfälle” bezeichnet wurden, in den Schatten gestellt – diejenigen mit symptomatischem COVID-19, die nicht mittels PCR-Test bestätigt wurden. Laut dem FDA-Bericht über Pfizers Impfstoffgab es “3410 Fälle von vermuteten, aber unbestätigten COVID-19-Fällen in der Gesamtstichprobe, 1594 davon in der Impfstoffgruppe im Vergleich zu 1816 in der Placebo-Gruppe.”

Mit 20 mal mehr Verdachts- als bestätigten Fällen kann diese Krankheitskategorie nicht einfach ignoriert werden, nur weil es kein positives PCR-Testergebnis gab. Das macht es umso dringlicher, die Ergebnisse zu verstehen. Eine grobe Schätzung der Wirksamkeit des Impfstoffs im Vergleich zu aufgetretenen COVID-19-Symptomen mit oder ohne positives PCR-Testergebnis wäre eine relative Risikoreduktion um 19 % (siehe Fußnote) – weit unter der von den Regulierungsbehördenfestgelegten Wirksamkeitsschwelle von 50 % für die Zulassung . Selbst nachdem jene Fällen abgezogen werden, die innerhalb von 7 Tagen nach der Impfung auftreten (409 nach dem Pfizer-Impfstoff im Vergleich zu 287 in der Placebo-Gruppe), die die Mehrheit der Symptome als kurzfristige Reaktion auf den Impfstoff enthalten, bleibt die Wirksamkeit des Impfstoffs gering: 29% (siehe Fußnote).

Wenn viele oder die meisten dieser Verdachtsfälle bei Menschen mit einem falsch negativen PCR-Testergebnis waren, würde dies die Wirksamkeit des Impfstoffs drastisch verringern. Aber wenn man bedenkt, dass influenzaähnliche Krankheiten schon immer unzählige Ursachen hatten – Rhinoviren, Influenzaviren, andere Coronaviren, Adenoviren, respiratorische Synzytial-Viren usw. –, könnten einige oder viele der vermuteten COVID-19-Fälle auf einen anderen Erreger zurückzuführen sein.

Aber warum sollte Urachenbestimmung so wichtig sein? Wenn Personen mit “COVID-19-Verdachtsfällen” im Wesentlichen denselben klinischen Verlauf wie COVID-19 hatten, dann wären “bestätigte und COVID-19-Verdachtsfälle” ein klinisch sinnvollerer Parameter als nur bestätigte COVID-19-Fälle.

Auch wenn ein bestätigter COVID-19-Fall in der Regel schwerer verläuft als ein COVID-19-Verdachtsfall, müssen wir immer noch im Auge behalten, dass am Ende nicht die durchschnittliche klinische Schwere entscheidet, sondern die Inzidenz von schweren Erkrankungen, die Krankenhauseinweisungen nach sich ziehen. Bei 20-mal mehr COVID-19-Verdachtsfällen als bestätigten COVID-19-Fällen und Studien, die sich nicht dazu eignen zu beurteilen, ob die Impfstoffe die Virusübertragung verhindern können, scheint eine Analyse schwerer Krankheitsverläufe unabhängig von ätiologischen Faktoren wie Zahl der Krankenhauseinweisungen, Intensivfällen und Todesfällen unter Studienteilnehmern gerechtfertigt zu sein und ist der einzige Weg, um die tatsächliche Wirksamkeit der Impfstoffe zu beurteilen, die Pandemie einzudämmen.

Es besteht ein klarer Bedarf an Daten, um diese Fragen zu beantworten, aber Pfizers 92-seitiger Bericht erwähnte nicht die 3410 “COVID-19″-Verdachtsfälle. Ebenso wenig die Veröffentlichung im New England Journal of Medicine. Auch keiner der Berichte über den Impfstoff von Moderna. Die einzige Quelle, die darüber berichtete, ist der Bericht der FDA über den Pfizer-Impfstoff.

Die 371 Personen, die von der Wirksamkeitsanalyse des Pfizer-Impfstoffs ausgeschlossen wurden

Wir benötigen ebenfalls mehr Daten, um ein weiteres Ergebnis aus der Tabelle des FDA-Berichts über den Pfizer-Impfstoff zu verstehen: 371 Personen, die von der Wirksamkeitsanalyse aufgund von “signifikanten Protokollabweichungen 7 Tage oder früher nach Verabreichung der 2. Dosis” ausgeschlossen wurden. Beunruhigend ist das Ungleichgewicht zwischen randomisierten Gruppen in der Anzahl dieser ausgeschlossenen Personen: 311 aus der Impfstoffgruppe im Vergleich zu 60 bei dem Placebo. (Im Gegensatz dazu wurden in der Moderna-Studienur 36 Teilnehmer von der Wirksamkeitsanalyse aufgrund von “großen Protokollabweichungen” ausgeschlossen – 12 Personen aus der Impfstoffgruppe im Vergleich zu 24 aus der Placebogruppe.)

Was waren diese Protokollabweichungen in der Pfizer-Studie, und warum wurden fünfmal mehr Teilnehmer in der Impfstoffgruppe ausgeschlossen? Der FDA-Bericht erwähnt darüber nichts, und diese Ausschlüsse sind im Pfizer-Bericht und der Zeitschrift-Publikation schwierig zu entdecken.

Fiebersenkende Medikamente und Schmerzmittel, Entblindung und primäre Ereignisbeurteilungsausschüsse

Letzten Monat äußerte ich mich besorgt über die mögliche interferierende Wirkung von Schmerzmitteln und fiebersenkenden Medikamenten zur Behandlung von Symptomen. Ich behauptete, dass solche Medikamente Symptome verschleiern könnten, was zu einer Untererkennung von COVID-19-Fällen führen könnte, möglicherweise in größerer Zahl bei Menschen, die den Impfstoff erhielten, um unerwünschte Nebenwirkungen zu verhindern oder zu behandeln. Scheinbar haben sie die Ergebnisse jedoch in eher geringem Ausmaß beeinflusst: Obwohl die Ergebnisse darauf hindeuten, dass diese Arzneimittel 34-mal häufiger in der Versuchsgruppe als bei Placebo-Empfängern (zumindest für den Pfizer-Impfstoff – Modernas Ergebnisse waren weniger eindeutig) verabreicht wurden, wurden sie in der ersten Woche nach der Verabreichung des Impfstoffs vermutlich hauptsächlich angewendet, um lokale und systemische Nebenwirkungen nach der Injektion zu lindern. Die kumulativen Inzidenzkurven deuten jedoch auf eine relativ konstante Rate bestätigter COVID-19-Fälle im Laufe der Zeit hin, wobei die Symptome weit eine Woche nach der Dosisverabreichung hinausreichen.

Dennoch bietet die höhere Rate des Medikamentenkonsums in der Impfstoffgruppe weiteren Grund zur Sorge über eine inoffizielle Entblindung. Angesichts der Reaktionsfähigkeit der Impfstoffe ist es schwer vorstellbar, dass Teilnehmer und Forscher keine fundierten Vermutungen darüber anstellen konnten, in welcher Gruppe sie sich befanden. Der primäre Endpunkt in den Studien ist relativ subjektiv, was die Entblindung zu einem wichtigen Anliegen macht. Doch weder die FDA noch die Unternehmen scheinen die Zuverlässigkeit der Verblindung und ihre Auswirkungen auf die gemeldeten Ergebnisse formell untersucht zu haben.

Wir wissen auch nicht genug über die Vorgangsweise der primären Ereignisbeurteilungsausschüsse, die COVID-19 Fälle gezählt haben. Waren sie etwa in der ersten Woche nach der Impfung für Antikörperdaten und Informationen über die Symptome der Patienten verblindet? Welche Kriterien haben sie zur Beurteilung herangezogen, und warum war ein solches Komitee bei einem primären Ereignis, das aus einem patientengemeldeten Ergebnis(COVID-19 Symptome) und einem PCR-Testergebnis bestand, überhaupt notwendig? Es ist auch wichtig zu verstehen, wer in diesen Ausschüssen war. Während Moderna ihren vierköpfigen Beurteilungsausschuss – alle an Universitätskliniken tätige Ärzte – namentlich bekannt gab, steht im Pfizer-Protokoll, dass drei Pfizer-Mitarbeiter dafür zuständig waren. Ja, Mitarbeiter von Pfizer.

Impfstoffwirksamkeit bei Menschen, die bereits COVIDhatten ?

Personen, die eine SARS-CoV-2-Infektion durchgemacht hatten oder bei deneneine frühere Diagnose mit COVID-19 erfolgt war, wurden von den Moderna- und Pfizer-Studien ausgeschlossen. Dennoch wurden noch immer 1125 (3,0%) und 675 (2,2%) der Teilnehmer an der Pfizer- bzw. Moderna-Studie zu Beginn als positiv für SARS-CoV-2 eingestuft.

Die Sicherheit und Wirksamkeit von Impfstoffen bei diesen Empfängern hat nicht viel Beachtung gefunden, aber da immer größere Teile der Bevölkerung vieler Länder,eine COVID-Infektion bereits durchgemacht haben, scheinen diese Daten wichtig zu sein – und umso mehr da die CDC in den USA empfiehlt, Impfstoffe zu verabreichen, “unabhängig von der Vorgeschichte einer früheren symptomatischen oder asymptomatischen SARS-CoV-2-Infektion”. Dies folgt auf die Schlussfolgerungender Agentur in Bezug auf den Pfizer-Impfstoff, dass er bei Menschen mit einer früheren SARS-CoV-2-Infektion ≥ eine 92%ige Wirksamkeit und “keine spezifischen Sicherheitsbedenken” aufwies.

Nach meiner Zählung berichtete Pfizer offenbar von 8 bestätigten symptomatischen COVID-19-Fällen bei Menschen, die zu Beginn positiv für SARS-CoV-2 getestet hatten (1 in der Impfstoffgruppe, 7 in der Placebo-Gruppe, unter Verwendung der Unterschiede in den Tabellen 9 und 10)und Moderna von 1 Fall (Placebo-Gruppe; Tabelle 12).

Wie kann es bei nur etwa vier bis 31 weltweit dokumentierten Wiederinfektionen in Studien mit Zehntausenden bei einer mittleren Nachbeobachtungszeit von zwei Monaten neun bestätigte COVID-19-Fälle geben bei Probanden, die zu Beginn der Studie mit einer SARS-CoV-2-Infektion diagnostiziert worden waren? Ist das repräsentativ für eine sinnvolle Wirksamkeit von Impfstoffen, wie sie die CDC es offenbar befürwortet? Oder könnte es etwas anderes sein, wie die Prävention von COVID-19-Symptomen, möglicherweise durch den Impfstoff oder durch den Einsatz von Medikamenten, die Symptome unterdrücken und nichts mit einer Erneutinfektion zu tun haben?

Wir brauchen die Rohdaten, um das zu beurteilen

Um die vielen offenen Fragen zu diesen Studien zu beantworten, brauchen wir die Rohdaten aus den Studien. Aber keines der Unternehmen scheint seine Daten bisher öffentlich zugänglich gemacht zu haben.

Pfizer erklärt, dass es die Daten “auf Anfrage und zur Überprüfung” zur Verfügung stellt. Das ist weit davon entfernt, Daten öffentlich zugänglich zu machen, lässt aber zumindest die Tür offen. Wie weit offen, ist unklar, da Pfizer laut Studienprotokoll erst 24 Monate nach Studienabschluss mit der Bereitstellung der Daten beginnen wird.

In der Datenfreigabeerklärung von Moderna heißt es, dass die Daten “auf Anfrage verfügbar sind, sobald die Versuche abgeschlossen sind”. Dies wäre etwa Mitte bis Ende 2022 der Fall, da ein Follow-up 2 Jahre später geplant ist.

Bei dem Impfstoff von Oxford/AstraZeneca ist es nicht viel anders, da dort Patientendaten erst dann verfügbar sein werden, “wenn die Studie abgeschlossen ist”. Laut Eintrag auf ClinicalTrials.govfür den russischen Sputnik-V-Impfstoff ist für diesen eine Freigabe der Teilnehmerdaten nicht geplant.

Die Europäische Arzneimittel-Agentur und Health Canadakönnten jedoch viel früher Daten für zugelassene Impfstoffe veröffentlichen. Die EMA hat bereits zugesagt, die von Pfizer übermittelten Daten “zu gegebener Zeit” auf ihrer Website zu veröffentlichen, ebenso wie Health Canada.

Fußnote

Die Berechnungen in diesem Artikel lauten wie folgt: 19 % = 1 – (8+1594)/(162+1816); 29% = 1 – (8 + 1594 – 409)/(162 + 1816 – 287). Ich ignorierte die Nenner, da sie in den einzelnen Gruppen ähnlich sind.

Ursprünglich veröffentlicht von The BMJ 4. Januar 2021, von Peter Doshi verfasst und hier unter den Bedingungen der CC BY NC Lizenz reproduziert.