Verfasser: Tim Schwab

Im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie tritt immer deutlicher zutage, dass die Maßnahmen des öffentlichen Gesundheitswesens nicht nur von Regierungen und multilateralen Institutionen wie der Weltgesundheitsorganisation vorangetrieben werden, sondern auch von einer Vielzahl öffentlich-privater Partnerschaften, an denen Arzneimittelhersteller und private Stiftungen beteiligt sind.

Eine führende Rolle spielt dabei der Wellcome Trust, einer der weltweit größten Geldgeber für die Gesundheitsforschung, zu dessen weitreichenden karitativen Aktivitäten rund um die Pandemie auch die Co-Leitung eines WHO-Programms zur Unterstützung neuer COVID-19-Therapeutika gehört. Im Rahmen des Projekts „Access to COVID-19 Tools Accelerator“ (kurz: ACT Accelerator) sollen mehrere Milliarden Dollar aufgebracht und einige hundert Millionen Impfdosen und andere Arzneimittel ausgeliefert werden, darunter Dexamethason und diverse monoklonale Antikörper.

Wie das BMJ feststellt, hält der Wellcome Trust selbst Beteiligungen an Unternehmen, die solche Therapeutika herstellen. Aus den Ende 2020 veröffentlichten Finanzausweisen geht hervor, dass der Wellcome Trust mit 275 Millionen Pfund (318 Millionen Euro; 389 Millionen US-Dollar) an Novartis beteiligt ist, das Dexamethason herstellt und an weiteren Therapeutika forscht. Auch der Pharmakonzern Roche, an dem der Wellcome Trust mit 252 Millionen Pfund beteiligt ist, arbeitet gemeinsam mit Regeneron an der Herstellung monoklonaler Antikörper. So geben sowohl Roche als auch Novartis an, mit Vertretern des WHO-Projekts ACT Accelerator Gespräche über ihre Therapeutika geführt zu haben.

Die finanziellen Interessen des Wellcome Trust wurden auf dessen Website und im Rahmen der aufsichtsrechtlich vorgeschriebenen Finanzberichte veröffentlicht. Diese scheinen aber im Zusammenhang mit der Arbeit des Wellcome Trust an COVID-19-Therapeutika nicht als solche offengelegt worden zu sein, auch wenn dies zeigt, dass der Trust aufgrund seiner Aufstellung voraussichtlich von der Pandemie profitieren wird.

Die Enthüllungen der finanziellen Interessenkonflikte des Wellcome Trust basieren auf Meldungen, dass auch die Gates Foundation, eine weitere Wohltätigkeitsorganisation, finanzielle Vorteile aus ihrer führenden Rolle bei der Pandemiebekämpfung ziehen könnte. Eine von Nation durchgeführte Rechercheergab, dass Gates mehr als 250 Millionen US-Dollar (179 Millionen Pfund; 206 Millionen Euro) in diverse Unternehmen investiert hat, die an der Entwicklung von COVID-19-Therapeutika arbeiten. Zivilgesellschaftliche Gruppen äußerten sich besorgt über den weitreichenden Einfluss des Milliardärs im Rahmen der Pandemiebekämpfung und sehen darin eine übermäßige Stärkung der Rolle der Pharmaindustrie.

Dennoch wurden Wohltätigkeitsorganisationen wie die Gates Foundation und der Wellcome Trust – und sogar Pharmaunternehmen– während der Pandemie in den Medien für ihre Bemühungen zur Lösung der öffentlichen Gesundheitskrise gelobt, wobei ihren finanziellen Interessen relativ wenig Aufmerksamkeit geschenkt und ihre Arbeit kaum kontrolliert wurde.

„Im Zuge der Pandemie wird der Ruf von Organisationen wie der Gates Foundation, des Wellcome Trust und der Pharmaunternehmen aufpoliert, was sie meiner Meinung nach nicht verdient haben“, so Joel Lexchin, emeritierter Professor der School of Health Policy and Management der York University in Toronto. “I think they’re acting the way they always have, which is, from the drug companies’ point of view, looking after their own financial interests, and from the point of view of the foundations is pursuing their own privately developed objectives without being responsible to anybody but their own boards of directors.”

Gibt es möglicherweise Interessenkonflikte?

Laut Aussagen von Mohga Kamal-Yanni, politische Beraterin von UNAIDSund anderen Organisationen, die kürzlich ein Papiermitverfasst hat, in dem sie Probleme mit dem Einfluss der Gates Foundation auf die Pandemie aufzeigt, werfen die Investitionen des Wellcome Trust kritische Fragen bezüglich der Transparenz und Rechenschaftspflicht auf.

„In der COVID-Pandemie haben diese beiden Worte eine enorm große Bedeutung, weil wir wissen müssen, dass Entscheidungen auf der Grundlage von Wissenschaft und Evidenz getroffen werden”, erklärt sie gegenüber The BMJ. „Kennen wir die Unternehmen, mit denen sie sprechen? Wissen wir, wie sie die Entscheidungen über die Finanzierung eines bestimmten Unternehmens oder Produkts treffen?“

Der Wellcome Trust bestreitet, dass seine Investitionen seine Unabhängigkeit gefährden oder in Konflikt damit stehen. „Wir sind uns keiner Situation in unseren Beziehungen mit (…) dem Projekt ACT Accelerator bewusst, in der es aufgrund unseres Investitionsportfolios zu einem Konflikt gekommen oder es für Vertreter des Wellcome Trust notwendig gewesen wäre, sich zurückzuziehen“, sagte ein Pressesprecher, der es ablehnte, sich zu den Investitionen des Trust in Novartis oder Roche zu äußern. „Wir würden niemals aus einem anderen Grund als dem Schutz der öffentlichen Gesundheit Entscheidungen treffen oder andere über die Reaktion auf eine Pandemie beraten.“

Die Unterstützer des Wellcome Trust bescheinigen der Wohltätigkeitsorganisation einen reichen Schatz an biomedizinischem Fachwissen, vor allem dank seines Geschäftsführers Jeremy Farrar, einem berühmten Forscher auf dem Gebiet der Infektionskrankheiten, dem eine führende Rolle bei vorangegangenen Ausbrüchen von Ebolaund Vogelgrippe zugeschrieben wird.

Kenny Baillie, ein Forschungsgruppenleiter der Abteilung für Genetik und Genomik an der Universität Edinburgh, der Forschungsgelder des Wellcome Trust erhalten hat, betont, dass der Wohltätigkeitsorganisation auch als „Leuchtturm für Redlichkeit und gute Governance-Praktiken“ Anerkennung gebührt.

Er fügt hinzu: „Ich kann aus persönlicher Erfahrung im Umgang mit den Vertretern der Wissenschaft sprechen. Es hat von ihrer Seite keinen Versuch gegeben, mich oder irgendeinen anderen Forscher, den ich kenne, davon abzuhalten, die beste Wissenschaft zum Nutzen der Menschheit zu betreiben.“ Es ist jedoch nach wie vor unklar, welche Governance-Strukturen vorhanden sind, um zu gewährleisten, dass das gewaltige Vermögen des Wellcome Trust keinen Einfluss auf seine Rolle bei der Festlegung der Tagesordnungspunkte der WHO oder seine sonstige Arbeit im Zusammenhang mit der Pandemie hat.

Unitaid, einem Co-Leiter des WHO-Projekts ACT Accelerator zufolge, besteht eine „klare gegenseitige Übereinkunft“ mit dem Wellcome Trust, „dass relevante institutionelle Interessen transparent offengelegt werden.“ Allerdings räumte Unitaid gegenüber The BMJ im vergangenen Dezember ein: „keine Erklärung über Interessenkonflikte erhalten zu haben.“

Laut Marc Rodwin, Juraprofessor an der Suffolk University Boston, Massachusetts, können Institutionen mit finanziellen Interessenkonflikten dennoch wertvolle Beiträge zur Pandemiebekämpfung leisten, sollten sich aber nicht in einer Position der Einflussnahme oder Entscheidungsfindung befinden.

„Ich würde allerdings weiter gehen, als nur zu fordern, dass sich der Trust bei bestimmten Entscheidungen zurückhalten sollte. Aber warum werden sie überhaupt in diese Positionen gewählt[of authority]?”, möchte er wissen. „Hier gefällt mir das Konzept des epidemiologischen Risikofaktors. Dabei geht es lediglich darum, ein unnötiges Risiko einzuführen. Wenn eine Menge Geld im Spiel ist, möchte man keine finanziellen Konflikte haben, durch die solche Entscheidungen beeinflusst werden können.“

Berater der Regierung

Neben seiner Arbeit über die WHO beeinflusst der Wellcome Trust die Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung auch durch Farrars Positionin der Scientific Advisory Group for Emergencies, die die britische Regierung in Sachen COVID-19 berät, sowie durch seinen Sitz im Vorstand der Coalition for Epidemic Preparedness Innovations, einer führenden öffentlich-privaten Partnerschaft in der Pandemie, die mehr als 1 Milliarde US-Dollar für die Entwicklung von COVID-19-Impfstoffen bereitgestellt hat. Er tritt auch häufig als Experte in Nachrichtenmedien auf, unter anderem in The BMJ, wo er über die Wirksamkeit bestimmter Medikamente zur Behandlung von COVID-19 berichtethat.

Diese Beratungs- und Medienaktivitäten scheinen in Konflikt mit dem Stiftungsvermögen des Wellcome Trust in Höhe von 28 Milliarden Pfund zu stehen, von denen mindestens 1,25 Milliarden Pfund in Unternehmen investiert sind, die an COVID-19-Impfstoffen, Therapeutika und Diagnostika arbeiten, darunter Roche, Novartis, Abbott, Siemens, Johnson & Johnson und – über seine Beteiligungenan der Investmentgesellschaft Berkshire Hathaway – auch Merck, AbbVie, Biogen und Teva.

Farrar ist Mitglied des internen Investitionskomiteesdes Wellcome Trust, das bezüglich der Verwendung des Stiftungsvermögens eine umfassende beratende Rolle spielt. Der Wellcome Trust wollte sich nicht dazu äußern, ob Farrars Doppelrolle – Unterstützung bei der Verwaltung des Stiftungsvermögens und der wohltätigen Zwecke – wünschenswert ist, und lehnte mehrfache Anfragen nach einem Interview mit Farrar oder anderen Vertretern der Wohltätigkeitsorganisation ab.

Der volle Umfang der Investitionen des Wellcome Trust in Unternehmen, die an COVID-19-Therapeutika arbeiten, ist nicht bekannt, da sich der Trust auch gegenüber dem BMJ weigerte, Details seines Investitionsportfolios offenzulegen. Ein Großteil davon wird lediglich allgemein als Investitionen in Hedgefonds, öffentlich notierte Aktien, privatplatzierte Aktien, oder Immobilien beschrieben. Der Wellcome Trust hat auf seiner Website eine Liste einiger seiner größten Einzelinvestitionen in Unternehmen publiziert. Derweil hat das BMJ weitere Informationen über das Stiftungsvermögen des Wellcome Trust anhand der in den USA aufsichtsrechtlich vorgeschriebenen Finanzberichte aufgedeckt.

Basierend auf dieser spärlichen öffentlichen Berichterstattung scheint der Wellcome Trust seine Investitionen im Zusammenhang mit COVID auszuweiten. So wieser im letzten Sommer eine Beteiligung von fast zwei Millionen Aktien an Abbott Laboratories aus, einem wichtigen Lieferanten von COVID-19-Diagnosetests. Aus den aufsichtsrechtlich vorgeschriebenen Finanzberichten geht hervor, dass der Wert der 1,95 Millionen Abbott-Aktien von Juli bis Oktober 2020 von 178 auf 212 Millionen US-Dollar gestiegen ist – ein Glücksfall für die gemeinnützige Organisation.

Der Wellcome Trust weistfür das Geschäftsjahr 2020 einen Gewinn aus allen Investitionen in Höhe von 3,3 Milliarden Pfund aus, dreimal mehr, als der Trust für wohltätige Zwecke ausgegeben hat.

Einflussnahme auf Investoren

Die Rolle des Wellcome Trust an den Finanzmärkten hat sich im Verlauf der Pandemie auf andere Weise bemerkbar gemacht. Dem Wall Street Journal zufolge hielt der Wellcome Trust bereits im Januar 2020 Telefonkonferenzen mit privaten Investmentgesellschaften ab, in deren Rahmen Farrar die Anlagemanager vor der Schwere der COVID-19-Pandemie warnte. Dies veranlasste die Investoren zur Umstrukturierung ihrer Portfolios, entweder um Verluste zu minimieren oder um finanzielle Gewinne zu erzielen, berichtete das Blatt.

Der Trust wollte keine Mitschriften von Farrars Telefonkonferenzen mit externen Investoren zur Verfügung stellen, gab aber an, dass er den Investoren gegenüber dieselben COVID-Warnungen ausgesprochen hatte, die er auch in den Nachrichtenmedien und andernorts verbreitete.

Zwei Investmentgesellschaften, die mit Farrar im Gespräch sind – Sequoia und Blackstone – haben in den letzten Jahren Dividenden an den Wellcome Trust ausgezahlt, wie die jüngsten Steuererklärungender Wohltätigkeitsorganisation in den USA zeigen. Der Trust wollte sich nicht dazu äußern, ob er zum Zeitpunkt der von Farrar geführten Gespräche in diesen Unternehmen investiert war.

Die Ethik der Investitionstätigkeit des Wellcome Trust ist in den letzten Jahren mehrfach in den Blickpunkt der Öffentlichkeit geraten, u. a. durch eine vom Guardianim Jahr 2015 initiierte öffentliche Kampagne, in deren Rahmen der Wellcome Trust und die Gates Foundation dazu gedrängt wurden, ihr Engagement in fossilen Brennstoffen aufzugeben. Mehrere zehntausend Menschen unterzeichneten eine Petition zur Kampagne, in der argumentiert wurde, dass die Investitionen des Wellcome Trust und der Gates Foundation in fossile Brennstoffe im Widerspruch zu ihren Bemühungen stünden, „menschlichen Fortschritt und Gleichheit“ zu unterstützen.

In einem Antwortschreibenlehnte Farrar eine Veräußerung dieser Beteiligung als Strategie ab und erklärte, der Wellcome Trust nutze seine Position als Investor, um fossile Brennstoffunternehmen zu einem besseren Verhalten zu bewegen. Ein ehemaliger Mitarbeiter des Trust berichtete dem BMJ, dass dessen Investitionen in fossile Brennstoffe Anlass zu heftigen Auseinandersetzungen unter den Mitarbeitern gaben, die die Investitionsstrategie der Wohltätigkeitsorganisation in Frage stellten.

2018 vermeldetedie Fachzeitschrift Science, dass der Wellcome Trust fast 1 Milliarde US-Dollar an Auslandsinvestitionen hielt, darunter ein Energiefonds auf den Kaimaninseln, der an einem Unternehmen beteiligt war, das hochgradig umweltschädliche Schiffstreibstoffe vertreibt. Science zitierte Ökonomen, die die Auslandsinvestitionen des Wellcome Trust und anderer Wohltätigkeitsorganisationen in Steuerparadiesen wie den Cayman-Inseln scharf kritisieren. Sie werfen ihnen vor, das Steuervermeidungsverhalten zu institutionalisieren und zum Normalfall zu machen, wodurch sich die Einkommensungleichheit verschärfe.

Governance im öffentlichen und privaten Sektor

Seit Beginn der Pandemie kursieren in vielen Ländern Mutmaßungen über finanzielle Interessenkonfliktebei öffentlichen und privaten Akteuren. In Großbritannien machte der leitende wissenschaftliche Berater der Regierung, Patrick Vallance, Schlagzeilen, als seine finanziellen Beziehungen zum Pharmakonzern GlaxoSmithKline aufgedeckt wurden. Die Regierung hat Vallance gegen die Vorwürfe verteidigt, sich nicht korrekt verhalten zu haben.

In den USA wurde gegen vier Kongressmitglieder wegen des Handels von Aktien auf Basis nicht-öffentlicher Informationen ermittelt, zu denen sie durch ihre politischen Positionen Zugang hatten. Nach Angaben der New York Times wurden alle im weiteren Verlauf der Untersuchung freigesprochen.

Letztes Jahr berichtetedas BMJ über ein Versäumnis der britischen Scientific Advisory Group for Emergencies, konkurrierende Interessenim Zusammenhang mit COVID-19 offenzulegen, woraufhin sie der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurden.

Trotz der überragenden Rolle, die private Wohltätigkeitsorganisationen bei der Pandemiebekämpfung spielen, wurden ihre finanziellen Interessen nur wenig beleuchtet, was daran liegt, dass Stiftungen nicht denselben Aufsichtsmechanismen unterliegen wie öffentliche Einrichtungen.

Linsey McGoey, Professorin für Soziologie an der University of Essex, die viel über die Rechenschaftspflicht in der Philanthropie geschrieben hat, betrachtet die Pharma-Investitionen des Wellcome Trust und der Gates Foundation im Kontext ihrer Unterstützung der vorherrschenden Marktmechanismen, die die moderne Medizin vorantreiben. Dies hatte zur Folge, dass vermögende Nationen vorrangigen Zugang zu COVID-19-Therapeutika erhielten. Viele Interessengruppen stellen dieses Wirtschaftsmodell während der Pandemie in Frage, merkt McGoey an, darunter auch den Druckauf die Welthandelsorganisation, die Beschränkungen des geistigen Eigentums in Bezug auf Impfstoffe und Therapeutika zu lockern.

„Offenbar haben sie sich ganz und gar einem karitativen Modell verschrieben (…), [that]das dem Ansatz der Gesundheits- und Impfgerechtigkeit, den die meisten Aktivisten und politischen Entscheidungsträger des globalen Südens fordern, zu widersprechen scheint“, fügt sie hinzu.

„Diese Stiftungen halten den falschen ideologischen Eindruck aufrecht, dass sie (…) das Problem lösen könnten, obwohl dies nicht der Fall ist. Allerdings besteht die Möglichkeit, dass sie diesen noch verstärken, indem sie am ideologischen Bild der Rettung durch den Privatsektor festhalten.“

Ursprünglich veröffentlicht von The BMJ am 3. März 2021, verfasst von Tim Schwab, hier wiedergegeben im Rahmen der Bedingungen der CC BY NC-Lizenz.